Rin Shimashita

Kleine silberne Buchstaben zieren den dunkelroten Ledereinband des handgefertigten Büchleins. Eingestanzte Kirschblütenzweige und ein aus Seide gefertigtes Lesezeichen komplettieren den Einband. Das Buch selbst ist fast leer, die wenigen vorhandenen Einträge wurden allerdings mit größter Sorgfalt niedergeschrieben, kaum ein durchgestrichenes Wort, alles wurde penibel mit Rins klarer, schnörkelloser Schrift beschrieben, auch wenn einige Einträge auf Japanisch verfasst wurden. Das Buch sieht noch fast neu aus, ein Indiz dafür, dass Rin es so gut wie nie benutzt. In den linken, unteren Rand ist ein Datum eingraviert, der 15.05.1991, und unter diesem Datum lässt sich auch der erste Eintrag finden.




Liebes Tagebuch,
du bist keine Person, und ich weiß das, und deshalb ist es auch zwecklos, dir meine Sorgen und Wünsche anzuvertrauen, ebenso wie es sinnlos ist, dich mit „Liebes Tagebuch“ anzureden, denn du würdest es ohnehin nicht würdigen. Es ist dir egal, wie ich mit dir umgehe und welche Namen ich dir gebe, bist du doch nichts weiter als ein Buch, ein unnützes kleines Buch eines unnützen kleinen Mädchens, das ebenso wenig kann wie dieses Buch. Aber es muss doch etwas geben, zu dem du taugst, oder warum sonst sollte ich dir nun all dies erzählen, wenn du nicht irgendeine besondere Fähigkeit hättest? Vielleicht verhält es sich mit dir genauso wie mit mir? Wir haben beide irgendeine Fähigkeit, doch niemand nimmt sich Zeit und versucht uns zu verstehen, und so bleibt ihnen diese ganz besondere Fähigkeit verwehrt, sie sind blind, können den Sinn hinter uns nicht erkennen. Für sie sind wir nicht mehr als ein Buch und ein Mädchen. Doch in Wirklichkeit sind wir viel mehr als das. Was wohl meine besondere Fähigkeit ist?